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BUCHTIPP
Husch Josten "Land sehen"
Ein erstaunliches Buch wie man es selten findet in der Gegenwartsliteratur.
Buchtipp von Roswitha Sachse
Geschrieben am 20.07.2020
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Hora, eigentlich Horand Roth, Literaturprofessor und lebt eher zurückgezogen, staunt nicht schlecht, als eines Morgens das Telefon klingelt und sein lange verschwundener Onkel Georg am Draht ist. Hora erinnert sich noch an gemeinsame Stunden am Klavier, an das wilde Leben des Onkels, an seine unkonventionellen Ansichten.  

Die Überraschung ist groß, als Georg eröffnet, dass er eine Weile in der Gegend bleiben will.  Mit seinem Onkel hat er wahrlich nicht gerechnet. Schon gar nicht, dass dieser plötzlich als Mönch vor ihm steht.

Es entsteht eine enge Beziehung zwischen den beiden Männern, bei regelmäßigen Treffen reden sie über Themen wie Glaube, was er ist, über die Liebe, das Leben.

Sie erinnern sich an die Vergangenheit und doch erfährt Hora weniger, als er gerne erfahren würde. Er ist auf der Suche nach Antworten, die nur zögerlich kommen. Und doch fügt sich langsam, Stein für Stein, das Mosaik der Vergangenheit zusammen.  

 „Land sehen“ bedeutet als Redewendung, sich dem Ziel nähern. Dies kommt wohl aus der Seemannssprache. Wenn man lange nur Wasser um sich sieht und keinen sichtbaren Anhaltspunkt in der Landschaft, kann das die Seele überlasten und mit dem Ausruf Land in Sicht erwacht das innere Leben.

Husch Josten hat nicht nur viel Fantasie und Einfühlungsvermögen, sondern auch viel Humor. Sie erzählt klug und einnehmend über Glauben, Liebe, Freundschaft und philosophiert über die bewegenden Fragen des Lebens.

Husch Josten, geboren 1969, studierte Geschichte und Staatsrecht in Köln und Paris.

Husch Josten lebt heute wieder in Köln.

Jüngst wurde ihr der renommierte Literaturpreis der Konrad Adenauer Stiftung (2019) verliehen.


Leseprobe:

„Was einen wie Georg, der im Leben nichts ausgelassen hat, der zweimal verheiratet war, um festzustellen, dass die Ehe die unzweckmäßigste Erfindung der Zivilisation neben viereckigen Wassermelonen ist, der nach dem Studium der Rechtswissenschaften sein Glück als Anwalt, als Barpianist, als Schaffarmer in Schottland und als Croupier in Casinos versuchte, was also einen wie ihn dazu gebracht hat, in eine der reaktionärsten Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche einzutreten – es beschäftigte mich, seit er aufgetaucht war und mindestens so sehr wie die unerquickliche Frage, wie ich selbst, genauer betrachtet, zum Glauben stand. Dies hatte ich zu meiner Bestürzung, wie gesagt, gleich nach seinem Anruf aus Argentinien über ihn in Erfahrung bringen können: dass er zuletzt in der Auvergne in der Abtei Notre-Dame de Bellaigue zu Hause gewesen war. Bei Mönchen, die die Liturgie in der außerordentlichen Form des römischen Ritus feierten, die Öffnung der Kirche im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnten und der Bruderschaft St. Pius X. verbunden sind, sich zwar Benediktiner nennen, aber keiner benediktinischen Kongregation angehören. Der Onkel war also mehr oder weniger ein Piusbruder, über die ich wusste, was alle Zeitungsleser wissen. Es empörte mich. „Wie bist du in diesen Orden geraten?“, fragte ich Georg bei einem unserer Treffen, die sich seit seiner Ankunft in Bonn zweimal wöchentlich ereigneten, als hätten wir es so verabredet. „Ich habe ihn mir ausgesucht“, lautete seine Antwort. Er bemerkte meinen Blick. Sah mich lange an: „Ich habe gute Gründe, Hora. Lässt du das gelten?“ „Eigentlich nicht“, erwiderte ich.“



 

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